Österreichische Dokumentarfotografie
Matthias Aschauer, Elisabeth Czihak, Otto Hainzl, Susanne Jakszus, Christopher Mavric, Zara Pfeifer, Helmut Steinecker, Rudolf Strobl
Als erste Ausstellung im Jänner 2015 präsentieren wir aktuelle Positionen österreichischer Dokumentarfotografie. Die darin versammelten Fotografinnen und Fotografen setzen sich in teilweise sehr umfangreichen Langzeitprojekten mit konkreten Orten und damit verbundenen sozialen Themen auseinander.
Christopher Mavric
Christopher Mavric hat sich in seiner nun ab Februar auch als Buch vorliegenden Serie Wildfremd – Straßenportraits aus Graz und Wien dem Genre der Straßenfotografie verschrieben. Alles ist live und ungestellt in seinen Portraits österreichischer Menschen, die sich in urbanen Räumen bewegen. Es treten auf: Passanten im Wortsinn, Grazerinnen und Grazer, Wienerinnen und Wiener, durch das Bild und die Stadt brausende Zeitgenossen, aber auch wartende, verweilende, auf einer Bank gestrandete Bewohner ihrer Viertel, in ihrem je eigenen Habitus, einem ganz heutigen oder schon etwas angejahrten – jedenfalls für alle Zeit aufgehoben im fotografischen Bild.
»Alle abgebildeten Personen sind Fremde, die ich auf der Straße fotografiert habe. Die meisten habe ich nicht um ihre Erlaubnis gefragt. Es musste schnell gehen: Wenn die Leute noch nicht daran denken, wie sie gerade aussehen, werden die Aufnahmen authentischer. Viele dieser festgehaltenen Situationen scheinen absurd und die Personen darin sonderbar. Sie sind es aber nicht. Das alles ist alltäglich und die Menschen sind gewöhnlich – tagtäglich können wir uns auf der Straße begegnen.« (CM)
Helmut Steineckers
Helmut Steineckers Tichá ist ein südböhmisches Grenzdorf, nur einen bewaldeten Hügel von seinem Wohnort – dem österreichischen Dorf Unterwald – entfernt. Dort am ehemaligen eisernen Vorhang, im heutigen sogenannten grünen Band, findet er Relikte eines fast ein halbes Jahrhundert geteilten Europas. Dieses abgelegene Gebiet scheint sich zwischen Ruinen und Kitsch in eine neue Identität einzupendeln. Als sich öffnende ehemalige Sperrzone zwischen zwei Machtblöcken befindet sich der Ort in einer historischen aber auch geografischen Ausnahmesituation. Steinecker widmet diesem etwa 100 Einwohner zählenden Dorf seine sachlich konzentrierte aber gleichwohl emotional teilnehmende Fotografie. Auch Tichá liegt nun druckfrisch als Buch in der FOTOHOF>EDITION vor.
Matthias Aschauers
Die Rezeption von Bildern der Welt verschiebt sich zunehmend von der Ebene der klassischen Bildreportage in Zeitschriften in den Kunstbereich, und hier im speziellen hin zum Medium Buch. So sind neben den beiden Büchern von Mavric und Steinecker auch Matthias Aschauers Bilder von Attnang-Puchheim Teil eines im Werden begriffenen Buches. Seine Serie ist eine Überprüfung seiner Herkunft und vermisst gleichzeitig die soziale Landschaft Oberösterreichs aus verschiedenen Blickwinkeln. »Bei der Arbeit ›Nang-Pu‹ handelt es sich um eine Dokumentation der oberösterreichischen Kleinstadt Attnang-Puchheim. Die Stadt ist den meisten Österreichern, wenn überhaupt, einzig durch den verhältnismäßig großen Bahnhof ein Begriff. Mit meinen Bildern probiere ich Einblicke in die Stadt zu geben, in der verschiedenste Schichten, Kulturen und Subkulturen aufeinandertreffen. Attnang-Puchheim, ein Inbegriff der österreichischen Provinz, zeigt sich in den Bildern selbstbewusst als vielschichtiger Kosmos.« (MA)
Otto Hainzl
»Corviale« – Kilometerlange Gänge, unbegehbare Treppen, grafische Codes, illegal besiedelte Zonen, Wandmalereien. Corviale ist ein Wohnblock am Stadtrand von Rom, knapp einen Kilometer lang und zählt mehr als 8.000 Einwohner – eine Stadt in einem Gebäude. Es ist ein architektonisch-gesellschaftliches Manifest aufgeladen mit den Spuren des Menschseins. Otto Hainzl hat in dem Gebäude gelebt um in dieser Bildstrecke seine Wahrnehmungswelt zu teilen. Die Arbeit erzählt über Plan und Wirklichkeit, über das Gebäude, seine Besonderheiten und dort vorgefundene Lebenswelten. Auch diese Arbeit erscheint als Buch, im April 2015 im Kehrer Verlag.
Elisabeth Czihaks
Elisabeth Czihaks Bilder verlassener Innenräume sind eine Spurensicherung menschlicher Existenz. Absence ist die fotografische Dokumentation und Interpretation eines zum Zeitpunkt der Aufnahmen seit ca. zwei Jahren leer stehenden Gemeindebaus im 19. Bezirk in Wien.
Neben Außenaufnahmen der fünf Stiegen (Eingänge) gibt es von jeder der insgesamt 36 Wohnungen zwei Innenaufnahmen, die – in Motiv und Blickwinkel je nach vorgefundener Situation unterschiedlich – im Oktober 2006 entstanden sind.
Das Spezielle an diesem Wohnbau war die augenscheinlich kurze Verweildauer der ehemaligen Bewohner:innen und der dadurch entstandene erste Eindruck von extremer Einförmigkeit in Einrichtungs- und Lebensweise. All diese Details, so unscheinbar sie auch sein mögen, regen zu Assoziationen über Lebensgeschichten anonymer Bewohner an.
Zara Pfeifer
Zara Pfeifers analoge Farbfotografien eröffnen Einblicke in die innenliegenden Räume der Großwohnsiedlung Alterlaa, die in den siebziger Jahren von Harry Glück in Wien erbaut wurde.
Im Wohnpark, in dem circa 10.000 Menschen wohnen, hat die Fotografin und Architektin Zara Pfeifer sich vor allem auf die vom Tageslicht abgeschnittenen Gemeinschaftsräume konzentriert. Derzeit sind 32 Clubs dort situiert, wie z.B. der Theaterclub, Bridgeclub, Modellbauclub, Schützenverein. Bekannt sind auch die Schwimmbäder. Mit der Mitgliedschaft im Foto- und Videoclub begann die Fotografin ihre Arbeit im Wohnpark und wurde nach und nach in das Alltagsleben integriert. Sie begegnete offenen und stolzen Bewohner:innen, die sich mit der Architektur identifizieren. Folgende Fragen begleiteten ihre Arbeit: Wie viel Planung ist nötig, um die Nutzung gemeinschaftlicher Räume zu ermöglichen? Wie trägt die Architektur zu Formen der Vergemeinschaftung bei? »Zara Pfeifer nutzt die Fotografie als abbildendes, als forschendes und entwerfendes Instrument, um über die Bedeutung von architektonischen Räumen und letztlich über nichts Geringeres als über die verschiedenen feinen Grade menschlicher Vertrautheit und Freundschaft in diesen Räumen Auskunft zu geben.« (Angelika Schnell)
Rudolf Strobl
Der in Salzburg aufgewachsene Fotograf Rudolf Strobl setzt sich in sehr intimer Weise mit seinen Eltern und der Geschichte ihrer Entfremdung auseinander. »Sonntag war Familientag. Alle kamen zusammen und erzählten von den Ereignissen der vergangenen Woche. Wenn ich sie besuchte war ich willkommen aber nicht mehr Teil der familiären Gewohnheiten, welche ihren gemeinsamen Alltag prägten. Manchmal saßen sie im Wohnzimmer, ohne viel zu sprechen aber in tiefem Einverständnis. Meine Eltern wurden mir fremd. Ich begann sie zu fotografieren um die Veränderung besser verstehen zu können. Der Alltag verwandelte sich in austauschbare Szenen aus einem allgemeinen Leben und wurde zum fiktiver Platzhalter – genauso befremdlich wie der Besuch am Sonntag oder ein Familienalbum. Inzwischen, seit kurzem, ist mein Vater in ein Pflegeheim übersiedelt.« (RS)
Susanne Jakszus
Susanne Jakszus’ Arbeit markiert einen Grenzbereich eines fotodokumentarischen Projekts hin zur Fotoreportage. Ihre Serie »Happy Ending« setzt sich mit Phänomenen des Sextourismus in Pattaya nahe Bangkok auseinander. Pattaya, eines der größten »Vergnügungsviertel« der Welt ist in der Folge des Vietnamkriegs auch zu einem Zentrum der käuflichen Liebe geworden. Ein reales wie oft auch nur erträumtes Ausstiegsszenario ist die Eheschließung mit ausländischen Männern. Susanne Jakszus hat Pattaya mehrfach besucht und diesen erotisch aufgeladenen Ort kritisch interessiert in seinen unterschiedlichen Facetten ins Bild gesetzt.