Rudolf Bonvie
Vorstellungsbilder und Seestücke
»Rudolf Bonvie ist kein Fotograf, arbeitet aber seit Mitte der 70er Jahre vorrangig mit dem fotografischen Bildmittel. Er benutzte in der frühen Phase die Fotografie, um die Funktion fotografischer Abbildtreue und deren Einfluß auf unsere Wahrnehmung bzw. das resultierende Handeln zu veranschaulichen. Aus diesem medienkritischen Ansatz heraus entwickelte Bonvie eine analytische Arbeitsmethode für die er das Sofortbild, die Verzahnung von Foto und Text und häufig auch die Videoinstallation einsetzte. Aus der zentralen Beschäftigung mit dem angewandten Fotobild als Stütze der Massenmedien innenierte Bonvie Ende der 70er Jahre Verweise auf die Macht des Bildes in Form von monumentalen Reproduktionen, z.T. verändert durch Teilabdeckdungen des Bildes, ergänzt durch Texte oder verändert durch Freistellung aus dem ursprünglichen Medienzusammenhang.« (Ute Eskildsen, 1988)
Das fotografisch reproduzierte Bild eines realen Ortes, eines Geschehens, das Portrait eines Menschen usw., alle diese inhaltlich festgelegten, als Informationen eindeutig bestimmten Momente, die im konventionellen Umgang mit dem Medium Fotografie, wie auch mit allen anderen reproduktiven Medien nur als Ausschnitt einer Realität faßbar und gegeben sind, kehrt Rudolf Bonvie kategorial um. Aus einer Vielzahl von inhaltlich formulierten Bild- d.h. Gedanken- und/oder Erinnerungssplittern, die bewußt in ein Bildflächenformat gebunden sind, gibt er dem Ausschnittcharakter einen anderen, neuen, positiven d.h. gestalterischen Sinn. In der konventionellen Fotografie wird der Ausschnitt immer als Mangel, als Begrenzung, als schmen:liche Trennung von der Ganzheitlichkeit der Realität empfunden, die wir mit unseren Sinnen, besonders mit dem Auge zwar weitgehend ganzheitlich erfassen, aber doch nur selektiv tatsächlich wahrnehmen und als Information im Gehirn speichern. Rudolf Bonvie zieht aus diesen physiologischen Gegebenheiten der Wahrnehmung und des Sehens eine künstlerische Konsequenz von großer Tragweite. Er befreit die Fotografie aus den Fesseln, Realität nur reproduzieren zu müssen, um unseren Sehgewohnheiten zu gefallen. Es gelingt ihm mit einer „geringfügigen” kategorialen Umwertung einer formalen Bedingung, ohne die Fotografie nicht funktioniert, den Handlungs- und Bedeutungsrahmen nicht nur radikal zu verändern und :ru erweitern, sondern endgültig die Fotografie den anderen autonomen Bildkünsten Malerei, Zeichnung, Skulptur und graphische Techniken gleich:rustellen. (Andreas Vowinckel, 1990).
Ein Überblick über Bonvies Produktion – von den »Fotoromanen« 1979 bis zu den »Vorstellungsbildern« 1993 – wird zum Durchblick durch die Gegenwartsfotografie und ihre Theoriegeschichte, von Walter Benjamin bis Susan Sonntag. Nur Dokumentarfotografie kommt bei Bonvie nicht vor. Aber die gibt es ja ohnehin nicht. (Heiner Peter Schwerfel, 1994)