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Paul Albert Leitner

studio

Mein Archiv wächst und ich bin 66

>08.10.–25.11.2023
Installationsansicht, Paul Albert Leitner, 2023, © Andrew Phelps

Paul Albert Leitner, einer der großen Fotografen Österreichs, hat dem Fotohof>ARCHIV eine repräsentative Auswahl seiner Arbeiten geschenkt. Insgesamt 80 gerahmte, signierte und nummerierte Fotografien – Städtebilder, Landschaften, Straßenszenen, Selbstportraits – bilden nun als eine Art Teil-Vorlass einen repräsentativen Bestand und werden anläßlich dieser großzügigen Schenkung in der Studiogalerie des Fotohofs gezeigt. Dieses Leporello begleitet die Ausstellung und ist als neuestes einer schon umfangreicheren Serie wie alle anderen von Leitner selbst als kleine Künstlerpublikation konzipiert worden. Paul Albert Leitner ist die Idealbesetzung, wenn es in der österreichischen Gegenwartsfotografie um die Verkörperung des Archivarischen an sich geht. Leitner, der ständig Reisende, begibt sich, wenn er heimkehrt, auf »Innendienst«, wie er sagt, nach Hause, zum Ordnen der Gedanken und Bilder, in eine Berglandschaft von Schachteln mit abertausenden penibel beschrifteten Fotos, Fundgegenständen, Zeitungsausschnitten, Texten, Collagen. Paul Albert Leitner hat immer schon als Archivar seines Lebens in Wohnungen, die eigentlich Archive waren, gelebt. Seine hauptsächliche Arbeitsweise fußt nach wie auf der analogen Kleinbildfarbfotografie – seit einigen Jahren ergänzt durch iPhones, deren Speicher für Leitners Flow beim täglichen Fotografieren immer zu klein werden. Neuerdings erweist er sich, langjährig geübt in Bild-Text-Kombinationen, als origineller Instagram-Kommunikator mit illustrer Gefolgschaft. Im analogen »Innendienst« aber, der auch ein präzises editing der Kleinbildfarbnegativfilme bedeutet, klebt er die 7 × 10 cm grossen Maschinenabzüge auf farbige Karteikarten mit fortlaufender Nummerierung des jeweiligen Films und der dazugehörigen Nummer des Bildes. Zu jedem Bild kommt ein Titel, minimal eine präzise Angabe von Ort und Zeit, häufig weiterführende Informationen.  Leitner bevorzugt den  Begriff »Legende«: Bild und Text zusammen sind konstitutiv, damit die Bilder gelesen werden und Leitners Erzählungen sich entfalten können. Das einzelne Foto ist eigentlich konkrete Poesie – als Bilderreihe oder Buch entstehen Narrationen, persönliche autobiografische oder ganze Weltgeschichten. »Kunst und Leben. Ein Roman« ist der für sein Gesamtwerk grundlegende Titel seines ersten Buchs.

Paul Albert Leitner, »Florida«, 2004, C-PrintPaul Albert Leitner, »Selbstporträt, Hotel Giuseppe Tartini, Pirna, Slowenien. Sonntag, 9. Februrar 1997, gegen 9 Uhr 20 Minuten«, 1997, C-Print vom S/W Negativ

Leitners Archiv umfasst mittlerweile etwa 80.000 Bilder aus aller Welt. Dabei ist er kein Reisefotograf, den das Exotische in fremden Welten reizt.  Paul  Albert Leitner, der Tiroler in Wien, ist ein Medium, in Kuba ein Kubaner, im Iran als Fremder nicht erkennbar, geht durch als wer auch immer. Outstanding nur als Künstlerpersönlichkeit. Grundsätzlich lässt er sich ein, auf den Alltag, auf die Nebenstraßen wie auf die Zentren, das Naheliegende und den Zufall. Und immer beweist er Interesse und Respekt, ist vorbereitet, kennt die Namen, die Literatur und die Geschichte. Und später denkt er zurück und erinnert sich. Mit Ironie und Witz taucht er häufig selbst in seinen Bildern auf: »Me, myself in a hotel« – das Hotelzimmer als transitorischer Raum schlechthin – wie immer mit präziser Bildlegende, konkret benannt mit Namen und Zimmernummer, Ort und Zeit – wird zur Bühne für die Inszenierung des ganz bewussten Verweilens, des Hier und Heute – Vanitas-awareness immer inklusive. Insofern verwundert es nicht, dass Paul Albert Leitner im nachdenklichen Titel dieser Ausstellung über sein Leben und seine Kunst sinniert, über die Endlichkeit und die anwachsende Unendlichkeit eines Lebenswerks. Eine Perspektive des Fotohof>ARCHIV ist, nicht nur Lebenswerke als Vor- oder Nachlass zu erhalten, zu erforschen und neu sichtbar zu machen, sondern durch die aktive Zusammenarbeit mit Fotograf:innen und Kurator:innen einen Ort der Dokumentation, sondern auch der Produktion österreichischer Fotografie zu schaffen.In seinen Selbstportraits ist er von Anfang an eine Kunstfigur in wechselnden Rollen und Episoden des Lebens. Dabei ist Leitner ein Meister das Schimmern im ganz Alltäglichen zu sehen, den Moment als glamorous zu erkennen und gekonnt – framing! Leitner-Licht! – ins Bild zu setzen. So sensibel er für die Poesie im Alltäglichen ist, so konkret und sachlich ist Leitner in seiner fotografischen Haltung, ein Dokumentarist eigentlich. Er zeigt die Schönheit und die Merkwürdigkeit der Welt; und enthüllt dabei auch die Magie der Fotografie: Seine Aufnahmen sind Zeugnisse für die Einzigartigkeit von Konstellationen und die Kostbarkeit des flüchtigen Augenblicks.

Paul Albert Leitner, »SELP-PORTRAIT, Huang Dapo Memoria Temple in the grounds of Shanghai Botanical Gardens, Shanghai, China 2010«, 2010, C-Print